Bei 2 Euro Einkauf 1 Brot gratis
Kurz vor acht Uhr morgens betrete ich einen Sozialmarkt, den „VinziMarkt“ in Wien, in dem sozial benachteiligte Menschen mit einer Genehmigung einkaufen können. Diese bekommt man, wenn das Einkommen im Monat nicht mehr als 1.050 Euro nach Steuern beträgt (das durchschnittliche Monatseinkommen in Österreich liegt bei 2.700 Euro vor Steuern). Ich bin kein Kunde, sondern biete im Rahmen des „Social Active Days“ für einen Tag meine Dienste an. Auch mein Kollege trifft ein, der mit mir heute beim Verkauf und der Servicierung helfen wird. Marktleiterin Oli führt uns ein und teilt uns den beiden ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen Eva und Helga zu, die schon seit vielen Jahren einmal die Woche freiwillig unterstützen.
Vor dem Geschäft hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Der Markt ist klein und maximal 10 Personen dürfen zeitgleich im Markt sein. Befüllt wird der Markt durch Spenden von Supermärkten. Freiwillige Helfer:innen sammeln mit dem Auto Lebensmittel, Wasch- und Kosmetikartikel ein, die zu einem Maximalpreis von 30 % des Normalpreises verkauft werden. Die Frischware steht meist kurz vor dem Ablaufdatum. Ich werde für den Obst- und Gemüseverkauf eingeteilt. Die Auswahl ist sehr bescheiden, es wurde leider nicht viel geliefert, einen Teil müssen wir sofort entsorgen.
Der Markt wird vor 9 Uhr geöffnet und die Kund:innen strömen ungeduldig ins Geschäft. Es herrschen strenge Regeln: der Einkaufswagen darf nicht alleine stehen gelassen werden und jede:r darf nur einmal durchs Geschäft fahren. Fixpunkt für jeden ist der Obst- und Gemüsestand. Wer um mindestens 2 Euro einkauft, erhält dort ein Brot gratis. Die ersten haben noch die Wahlmöglichkeit, je nachdem was die Supermärkte an Brot zur Verfügung gestellt haben. Ich verkaufe Äpfel, die heute besonders schön sind. Ein Renner sind auch frische Himbeeren und Erdbeeren, die im Nu weg sind. Außerdem Champignons, Salate, Karotten, Zucchini, Weintrauben. Dazwischen wickle ich abwechselnd mit Eva je einen Wecken Brot ein. Doch es gibt viele enttäuschte Gesichter: keine Kartoffeln, Zwiebeln, Kraut heute. Eine ältere Frau mit Kopftuch schenkt mir ein Bonbon und bedankt sich bei mir, weil ich ihr die letzten Himbeeren geben konnte.
Mein Kollege steht beim Eingang und sorgt für einen geregelten Einlass. Er hilft den Kund:innen, den Einkauf in den Taschen zu verstauen, hält ihnen die Tür auf und bedankt sich höflich für den Einkauf. Das sind viele nicht gewöhnt, und sie verlassen lächelnd das Geschäft. Wir wechseln, und nun sorge ich dafür, dass die Kund:innen nur das Geschäft betreten, wenn dafür ein freier Einkaufswagen zur Verfügung steht. Geduldig wartet die Schlange vor dem Geschäft, keiner drängelt. Vor der Tür steht plötzlich eine junge Familie mit einem Mädchen. Sie kommen herein, gehen auf mich zu und fragen, wie man eine Karte zum Einkauf beantragen kann. Ich rufe Leiterin Oli, die sich um die künftigen Neukunden kümmert. Neben der Kassa, die von Ursi, einer ebenfalls ehrenamtlichen Mitarbeiterin, bedient wird, steht ein Container mit Knabbergebäck. Fünf Packungen pro Person sind gratis zu entnehmen. Das kleine Mädchen zeigt auf den Container und bittet um ein Päckchen. Ich gebe ihm eines, und dem Mädchen schmecken die kleinen „Kängurus“, die sich darin befinden. Die Prüfung des Einkommens passt und die Familie darf gleich das erste Mal einkaufen gehen. Als sie an der Kassa bezahlt haben, fragt mich die Mutter, ob sie noch etwas vom Knabbergebäck nehmen dürfen. Ich greife in den Container und will ihr sogar mehr als die fünf zustehenden Stück geben. Nein, nur vier stehen ihr zu, denn eines hat sie ja schon vorher bekommen, meint die Mutter und gibt mir die übrigen wieder dankend zurück. Ihre Bescheidenheit und Ehrlichkeit beeindrucken mich sehr.
Das Geschäft wird bald schließen, und so werden die vielen Packungen mit Sushi, die am selben Tag ihr Ablaufdatum haben, ab sofort gratis vergeben, denn der Rest muss ohnehin im Müllcontainer entsorgt werden. Ich packe alles in einen Einkaufswagen und stelle mich zur Kassa, um die Ware anzupreisen. Das Interesse ist groß, zögernd fragt mich eine Kundin, ob sie eventuell noch eine zweite Packung nehmen könne. „So viel sie wollen, der Wagen ist voll“, und ich habe den Müllcontainer im Kopf, indem ohnehin alles landet, was jetzt nicht mitgenommen wird. Eine junge Mutter lächelt fröhlich, greift bei zwei Packungen mit Lachs-Sushi zu und flüstert mir zu: „Zum normalen Kaufpreis könnte ich mir die nicht leisten.“. Der Normalpreis im „Vinzimarkt“ beträgt 1,80 Euro für die Packung und zählt damit zu den teuersten Produkten im Markt. Ich unterhalte mich sehr nett mit einer Dame, die mir erklärt, dass sie Sushi nicht essen kann, aber sie nimmt gerne für ihre Nachbarin etwas mit, die sich darüber sicher freut. Marktleiterin Oli erzählt mir später, dass die Dame Krebs im Endstadium hat und deshalb oft sagt, sie freut sich, wenn sie alle im Markt sieht, weil sie nicht weiß, wie lange sie noch kommen wird.
Die letzten Kund:innen haben bezahlt, der Markt wird geschlossen, meine Arbeit ist getan. Eine Arbeit, die mich mit großer Demut und auch Dankbarkeit erfüllt hat, dass es mir sehr gut geht und es Menschen, Organisationen und Spender:innen gibt, die sich dafür einsetzen, jenen unter die Arme zu greifen, die nicht so vom Glück beseelt sind, aus welchem Grund auch immer.