Podcast available in German only
How to: Risiken richtig managen
Oktober 2024
DARIA HEISIPH: Ein herzliches Willkommen zu einer neuen Podcast Folge. Während viele andere Podcasts in die Sommerpause gegangen sind, haben wir feuchtfröhlich weiter veröffentlicht und haben vor allem in den letzten Folgen unsere User zu Wort kommen lassen, mit ihren Erfahrungen rund um Sunrise Capital. Wer es noch nicht mitbekommen hat, wir sind im Sunrise Capital Podcast, mein Name ist Daria Heisiph.
Heute mal wieder ein kleiner Formatwechsel, den wir schon lange nicht mehr nachgegangen sind. Ein „View from the top“, bei dem wir regelmäßig Führungskräfte börsennotierter und nicht börsennotierter Unternehmen auf den Zahn fühlen, könnte man sagen, ist jetzt ein bisschen harsch formuliert. Ihr werdet sehen was euch erwartet. Damit gebe ich ab an Thomas.
THOMAS NISS: Danke Daria für die Einleitung. Wie immer liebe Frau Hirner, vielen herzlichen Dank, dass Sie da sind, Chief Financial and Risk Officer der Vienna Insurance Group. Ich habe vorher schon in unserem Einleitungsgespräch gesagt, also heute geht es mir eigentlich vor allem darum, einfach zu zeigen, wie spannend es auch sein kann, quasi für die Finanzen von einem Großunternehmen verantwortlich zu sein und was es denn auch braucht, um dort überhaupt hinzukommen. Das bringt mich auch schon zu Ihrer Vita, die jetzt nicht unüblich ist, glaube ich, in diesen Bereichen. Weil man eben gerade hier im sehr technischen Bereich das auch gelernt haben muss. Sie waren 25 Jahre lang bei PwC. Sie waren fast 10 Jahre lang Partner bei PwC und sind dann in die Vienna Insurance Group gewechselt und darauf werden wir dann im zweiten Teil des Podcast auch noch ein bisschen eingehen, wenn wir dann darüber sprechen: „Was sind eigentlich so die großen Unterschiede?“. Aber zuerst noch einmal mein herzlicher Dank und vielleicht als Einleitung ganz kurz, wenn Sie uns ein paar Worte sagen können, quasi wie Ihre Rolle momentan aufgestellt ist, wofür Sie verantwortlich sind in der Vienna Insurance Group, wie sich das sozusagen auch im Verhältnis mit Ihren Vorstandskollegen darstellt.
LIANE HIRNER: Ja vielen Dank einmal auch für die Einladung. Die Vienna Insurance Group hat sechs Personen derzeit im Vorstand bzw. wir haben jetzt einen Kollegen auch dazu bekommen, ein stellvertretendes Mitglied, und wir teilen uns die Ressorts auf. Das ist auch das Ergebnis eines Diskurses, sage ich mal. Das kann sich auch ändern. Wir haben fachverantwortliche Vorstände. Jeder von uns hat auch Länderverantwortung und so teilen wir uns das einfach auf. Ich selbst habe ein sehr großes Ressort mittlerweile. Also ich bin ursprünglich als Finanzvorstand eingestiegen, habe dann 2020 das Risikoressort dazu bekommen, also Finanzen und Risikomanagement. Ich habe mittlerweile auch das Aktuariat, Planung and Controlling dazu bekommen, ganz frisch jetzt das Beteiligungsmanagement, die ganze Steuerabteilung ressortiert zu mir und auch Investor Relations ist eine Abteilung, um die ich mich kümmere.
THOMAS NISS: Das heißt Ihre Kollegen verkaufen nur noch und alles im Hintergrund außer dann vielleicht noch die Operations sind mittlerweile schon bei ihnen gelandet?
LIANE HIRNER: Genau. Also es ist wirklich ein sehr großes Feld, passt aber sehr gut. Wir haben halt sehr viele regulatorische Anforderungen und man kann grob sagen, dass in der Zwischenzeit alles, wo es darum geht, Informationen über Zahlen an den eigenen Aufsichtsrat, an Behörden, auf unsere Homepage oder mit Investoren zu teilen, dass diese ganzen Zahlenwerke und diese Metriken, mit denen wir uns beschäftigen, in einem Ressort sind. Das macht sehr viel Sinn, weil auch alles miteinander verwoben ist. Wir steuern ja nach sehr vielen Metriken. Wir haben einen UGB-Abschluss, wir haben IFRS-Konzernabschluss, wir machen einen Nachhaltigkeitsbericht, wir haben globale Mindestbesteuerung, wir haben eine eigene Solvenzbilanz als einzige Branche. Also wir haben sehr viele Metriken und müssen das alles miteinander verknüpfen.
THOMAS NISS: Teilweise trifft es natürlich jetzt in Zukunft auch uns. Auch wir sind jetzt mittlerweile in diese Solvenzthemen teilweise eingegliedert, müssen Liquiditäten nachweisen können. Sie haben aber ein sehr interessantes Stichwort gegeben. Wir haben das ja mit Hartwig Löger, mit dem Vorstandsvorsitzenden, auch schon kurz angesprochen, aber diese interessante Struktur der Vienna Insurance Group, die ihren lokalen Einheiten sehr viel Selbständigkeit zuschreibt und dann aber doch zu einer sehr flotten Bündelung von Entscheidungswegen nach oben führen. Sie haben es erwähnt: Sie haben auch Länderverantwortung, so wie alle Ihre Kollegen auch jeweils. Wenn Sie uns das ein bisschen näher beschreiben können: Wie funktioniert es dann tatsächlich? Sie sind in dem Fall verantwortlich für Deutschland unter anderem, also wie kann man sich das vorstellen? Wie ist Ihre Rolle da?
Struktur und Arbeitsweise der VIG
LIANE HIRNER: Also unsere Governance ist tatsächlich etwas anders als bei vielen anderen Mitbewerbern oder Konzernen. Wir bezeichnen uns selbst auch als Gruppe, nicht als Konzern. Wir verstehen uns als eine Ansammlung von Unternehmen, die auch auf Augenhöhe miteinander kommunizieren, auch in der Holding eher als Serviceeinheit, also auch unterstützend für die Länder und jeder von uns im Vorstand hat Länderverantwortung, also ich jetzt nur zwei Länder. Die Rolle ist die, dass man dort den Vorsitz im Aufsichtsrat hat. Ein zweiter Kollege ist immer dabei, ein sogenannter Buddy, der dann die Stellvertreterrolle hat. Was da so entscheidend ist, ist, dass man einen sehr kurzen Informationsweg hat zu den CEOs der einzelnen Länder. Also wir haben alle unsere Handynummern. Passiert irgendetwas oder ist etwas Wichtiges zu entscheiden, dann geht es sehr schnell bei uns in den Vorstand, weil jeder seinen zuständigen Vorstand eben hat. Themen können sehr rasch in der Vorstandsitzung auch besprochen werden. Wir haben da keine Filter dazwischen. Wir haben natürlich auch eine Controllingabteilung. Das ist aber eher unterstützend für den länderzuständigen Vorstand, aber da ist diese unmittelbare Kommunikation in meiner Meinung noch wesentliches Erfolgsrezept für die Vienna Insurance Group. Auch ganz wichtig in der Region, in der wir tätig sind. Wir sind die Nummer 1 in CEE und die Länder sind sehr unterschiedlich. Es ist eine Region, aber trotzdem sind die Länder sehr unterschiedlich und da ist einfach dieser direkte Kontakt ganz entscheidend.
THOMAS NISS: Jetzt laufen bei Ihnen sozusagen dann auch auf Ihrer funktionalen Ebene natürlich als Chief Financial und Chief Risk Officer und alle anderen Themen, die Sie noch haben, das Zahlenwerk zusammen. Jetzt stelle ich mir da die Frage: Ist das alles total standardisiert über alle diese Ländergesellschaften? Also sozusagen, verwenden sie alle ähnliche Systeme im Hintergrund, sodass das relativ einfach ist, das zu aggregieren und zu konsolidieren dann schlussendlich? Oder ist es nach wie vor so oder kann man sich das so vorstellen: Da gibt es natürlich Legacy Themen, da gibt es Legacy Systeme, das ist also schon auch noch eine Herausforderung, an der man ständig arbeitet?
LIANE HIRNER: Ja also wir sind dezentral. Alles, was Richtung Kunden geht, was Produktgestaltung betrifft, was Vertriebswege betrifft, da sind die Gesellschaften sehr eigenständig. In meinem Bereich allerdings haben wir wie alle anderen auch Kostendruck und müssen auf die Kosten schauen. Das heißt hier haben wir zentrale Systeme. Wir haben gemeinsames General Ledger zum Beispiel. Wir haben alle Kapitalanlagen auf einem System mit der neuen Rechnungslegung, die wir jetzt eingeführt haben, auch ein neues versicherungstechnisches Nebenbuch. Also in meinem Bereich sind wir eher, was Systeme betrifft, zentralistischer unterwegs, müssen wir auch sein und wie gesagt alles, was Richtung Kunde geht, ist eher dezentral. Vielleicht mit der Legacy: Die VIG hat in den letzten 30 Jahren, wo die Gruppe entstanden ist, sehr viele Akquisitionen gemacht und zwar jedes Jahr und nicht nur große, auch kleinere. Ich glaube wir sind wirklich Weltmeister im Integrieren von Gesellschaften. Also wenn wir ein Unternehmen kaufen, dann brauchen wir im Schnitt ein Jahr, bis die Gesellschaft auf unseren Systemen läuft. Also wir haben sehr viel Erfahrung. Das ist auch sehr wichtig, damit man einfach nicht diese Legacy Themen mitschleppt.
THOMAS NISS: Okay das, klingt gut. Also ich glaub das können nicht viele so mit dieser Überzeugung sagen. Jetzt vielleicht noch als letztes Thema zu dem Thema quasi Setup: Wie kann man sich so den Arbeitsalltag vorstellen? Sie haben vorher die Vorstandssitzungen erwähnt. Das klingt nach regelmäßigen, häufigen Vorstandsitzungen wie ich das so gehört habe. Wie funktioniert der Arbeitsablauf oder der Arbeitsalltag von Liane Hirner?
LIANE HIRNER: Ja also sehr regelmäßige Vorstandsitzungen. Ich komme heute gerade frisch aus einer. In der Covidzeit gab es viel mehr noch. Jetzt sind wir wieder auf normaleren Leveln, sage ich. Ich habe eigentlich den ganzen Tag Termine. Ich habe Jour Fixe mit meinen Bereichsleitern. Ich habe Jour Fixe mit einem Vorstandskollegen. Also ich bin da zugepflastert und habe auch sehr viele Auslandsreisen wieder. Also wir reisen auch im Rahmen dieser Länderverantwortung sehr viel in die Länder. Die meisten Sitzungen finden auswärts statt. Für uns ist einfach das persönliche Gespräch extrem wichtig und das bestimmt meinen Arbeitsalltag.
THOMAS NISS: Aha. Sie haben die Bereichsleiter erwähnt. Wie viele direct reports haben Sie da?
LIANE HIRNER: Also Bereichsleiter, wir haben jetzt ein bisschen wieder konsolidiert. Ich würde mal sagen sechs oder sieben ca.
THOMAS NISS: Okay, so eine noch gängige Spanne.
LIANE HIRNER: Genau, aber mit teilweise sehr großen Gruppen darunter.
Deep Dive: Dividendenpolitik und Kapitalmarktstrategien
THOMAS NISS: In der Vienna Insurance Group hat man das Glück, dass man sozusagen eine sehr stabile und eine tolle Entwicklung jetzt über die Jahre auch wieder gesehen hat in den Ergebnissen. Zusätzlich hat man heuer dieses tolle, ich würde mal sagen, Jubiläum „30 Jahre börsennotiert an der Wiener Börse“. Am 17. Oktober 2004 jährt es sich zum 30. Mal. Können Sie uns ein bisschen was zu dem Thema sagen: Entwicklung der Kapitalmarktstrategie der Vienna Insurance Group. Wo steht man da? Was hat die letzten Jahre geprägt und was wird vielleicht die nächsten Jahre prägen?
LIANE HIRNER: Ja also 1994. Sie haben schon gesagt, 17. Oktober war eben die erste Börsennotiz, sehr wichtiges Datum auch. Vor 30 Jahren hat sozusagen die Expansion auch begonnen. Zu der Zeit hatte die VIG oder die Wiener Städtische damals sechs Länder zu betreuen und 4.000 Mitarbeiter:innen. Jetzt 30 Jahre später steht man bei 30 Ländern und 30.000 Mitarbeitenden. Da sieht man schon welch‘ starkes Wachstum hier passiert ist. Es gab dann im Jahr 2005 und 2008 Kapitalerhöhungen. Es wurden dann auch Vorzugsaktien in Stammaktien umgewandelt und da gab es eigentlich den größten Schub dann auch an Akquisitionen. Beispielsweise 2008 hat die damals noch Wiener Städtische die Versicherungsgesellschaften der Erste Group erworben. Seitdem besteht auch eine sehr enge Kooperation mit der Erste Bank, die jetzt auch bis 2033 auch einmal vertraglich abgesichert ist. Also eine schöne Börsengeschichte und ich möchte an der Stelle vielleicht auch erwähnen, dass wir seit 1994 auch immer Dividenden gezahlt, jedes Jahr.
THOMAS NISS: Ja, vielleicht bevor wir auf die Dividenden noch einmal zurückkommen. Sie haben Stichwörter gebracht, die in unserem Podcast noch gar nicht vorgekommen sind, nämlich das Thema mit den Vorzugsaktien und den Stammaktien. Was aber unsere Anleger immer wieder beschäftigt und glaube ich für viele noch fremd ist. Wenn Sie das kurz nur erklären können, was der Unterschied ist und warum man das umgewandelt hat oder was da so die Themen sind, nur ganz grob.
LIANE HIRNER: Stammaktien sind mit Stimmrechten verknüpft. Wir haben 28 % ca. Streubesitz in den Aktien und das war einfach wichtig, dass man auch ein Mitbestimmungsrecht gibt den Aktionären.
THOMAS NISS: Und der Vorzug, den die Aktie sozusagen davor hatte, war ein präferenziertes Dividendenmodell?
LIANE HIRNER: Genau.
THOMAS NISS: War es auch abgestuft von den Dividendenhöhen her?
LIANE HIRNER: Ehrlich gesagt, das ist zu lange her.
THOMAS NISS: Ja, aber grundsätzlich ist es so, dass man als Vorzugaktionär im Wesentlichen mal vor den Stammaktionären Anspruch auf die Dividende hat. Aber dafür hat man kein Stimmrecht. Also das ist, wenn man es zusammenfassen kann, so der ganz grobe Unterschied. Ja, weil wir haben ja heute immer noch, gerade auch in unserem Portfolio, das ein oder andere Unternehmen, das dieses Konzept kennt. Eine Volkswagen zum Beispiel, die immer noch beides hat. Und es ist nicht immer ganz leicht nachzuvollziehen, warum das denn eigentlich existiert. Es gibt andere Unternehmen wie eine Alphabet zum Beispiel, die auch zwei Shareklassen hat. Das ist natürlich amerikanisches Recht. Da schaut die Welt wieder bisschen anders aus, aber es ist auch für uns als Asset Manager nie ganz einfach, weil die immer mit der gleichen ISIN fahren. Oder häufig mit der gleichen ISIN und oder zumindest mit den gleichen Tickern und man da immer wieder durcheinanderkommt, was tatsächlich was ist.
LIANE HIRNER: Also wie gesagt, stimmberechtigte Stammaktien derzeit und das soll auch das Mitspracherecht der Investoren sozusagen sichern.
THOMAS NISS: Sie haben schon erwähnt Streubesitz. Wer sind denn nun die Aktionäre. Wie gut kennen Sie eigentlich Ihre Aktionäre. Wie tief kann man da hineinschauen?
LIANE HIRNER: Ja, wir haben einen Hauptaktionär mit 72%. Das ist der Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsverein. Das war eigentlich ursprünglich einmal die österreichische Versicherung. Das ist ein wechselseitiger Verein wie es früher eigentlich alle Versicherungen waren und dann haben wir noch 28 % im Streubesitz. Ca. ein Drittel ist Nordamerika, ein Drittel Kontinentaleuropa und ein Drittel Österreich. Gerade in Österreich haben auch sehr viele Privataktionäre. Wie gut wir Sie kennen? Wir machen sehr, sehr viele Investorentermine. Das ist auch eine Hauptbeschäftigung von mir und suchen den Kontakt natürlich sehr stark zu unseren Investoren und Analysten.
THOMAS NISS: Aber die eigentliche Transparenz bis hinunter hat man ja nicht als Unternehmen. Wer tatsächlich der kleine Streubesitzaktionär ist, ist per se nicht feststellbar.
LIANE HIRNER: Also wir versuchen festzustellen auf den Hauptversammlungen, wer unsere Aktionäre sind und natürlich, wenn wir Hauptversammlung haben, dann bekommen wir ein Teilnehmerverzeichnis und da kann man ein bisschen was schon erkennen. Aber jetzt jeden einzelnen Aktionär kennen wir nicht.
THOMAS NISS: Ist durch die Schiene bedingt. Dadurch, dass sie gehalten werden von depotführenden Stellen, und nur die dann bekannt sind. Und die Shareholder Rights Directive hat ja relativ hohe Schwellenwerte bis dorthin, wo dann tatsächlich durchgemeldet werden muss.
LIANE HIRNER: Genau
THOMAS NISS: Finanzielle Performance vielleicht nur ganz grob zusammengefasst. Wir haben über Dividenden gesprochen. Damit ich Dividende zahlen kann, muss ich Geld verdienen. Wir versuchen ja auch in unserer Außendarstellung dessen, was wir tun, immer wieder von „Mitverdienen“ zu sprechen. Das heißt, wir versuchen den Blick unserer Anleger wegzunehmen von der spekulativen Komponente eines liquiden Finanzinstruments hin zu „Du wirst Miteigentümer und verdienst mit immer dann, wenn dieses Unternehmen Geld verdient“. Die Dividende ist dafür natürlich ein sehr schönes Element, weil sie auch dazu führt in unseren Breitengraden, dass einmal im Jahr tatsächlich auch ausgezahlt wird. In Länder wie in den USA ist es ja nach wie vor üblich, dass man viermal im Jahr zahlt, also quartalsweise ausschüttet. Die Japaner zahlen zweimal, aber es kommt eigentlich alles aus dieser Eigentümerperspektive heraus, die ein bisschen verloren gegangen bei Publikums Companies und wir versuchen eben diese zu transportieren. Dementsprechend rund um die Dividende: Zuerst muss ich Geld verdienen.
LIANE HIRNER: Ja, genau. Seit 1994 immer Dividenden gezahlt. Für uns ist es extrem wichtig, dass wir als verlässlicher, stabiler Partner angesehen werden, von allen unseren Stakeholdern. Ein wichtiger Stakeholder sind eben unsere Aktionäre. Wir arbeiten hin auf eine kontinuierliche Ergebnisverbesserung und das zeigen auch die Finanzkennzahlen der letzten Jahre. Ich bin jetzt das siebte Jahr in der Vienna Insurance Group und verfolge das sehr aufmerksam. Also wir haben wirklich eine sehr, sehr stabile Entwicklung als Gruppe. Das heißt jetzt nicht, dass es innerhalb der Gruppe nicht da und dort einmal rauf und runter geht. Was die VIG extrem auszeichnet, ist die Diversifikation. Also wir sind wirklich über Produkte, über Länder, Vertriebswege sehr, stark diversifiziert. Das heißt die Gruppe als Gesamtes hat eine sehr stabile Entwicklung, eine sehr nachhaltige Entwicklung. Ich würde fast sogar sagen, dass die Coronakrise für uns positiv war. Die Krise selber ist natürlich nicht so toll gewesen, aber sie zeigt einfach auch, wo Verwundbarkeiten da und dort noch bestehen und wenn man auch in diesen Themen dann nachhaltig arbeitet - und das haben wir wirklich gemacht - kann man auch gestärkt aus einer Krise hervorgehen. Also das hat die VIG sehr sehr gut gemanagt und ja es wir haben Pluszahlen in allen unseren Sparten, Segmenten und eine sehr nachhaltige Entwicklung. Man sieht es auch in der Solvenzquote. Die ist eine der höchsten oder zeitweise die höchste in Europa im Versicherungsbereich, also eine sehr gute Kapitalausstattung.
THOMAS NISS: Da muss ich gleich einhaken. Die ganze Zeit hatte ich im Kopf das ganze Thema Solvabilität, also auch diese sehr spezifische Regulatorik rund um dieses Thema bei Versicherungskonzernen. Kann man das einfach jemanden erklären, der sozusagen sich da draußen nicht wirklich damit auseinandersetzt, warum es sich denn da dreht?
LIANE HIRNER: Da geht es darum, dass man nach einer gewissen Standardformel oder nach einem internen Modell sozusagen gewisse Schocks berechnet, Zinsschocks, andere Marktschocks und dann schaut, inwiefern sich bei Auftreten dieser Schocks das Eigenkapital ändert und in der Regel absinkt. Da gibt es kombinierte Schocks mit Korrelationsmatrizen, das ist eine relativ komplexe Berechnung, aber am Ende des Tages sieht man, wie viel Solvenzkapital man halten muss und wie viel Own Funds, also Eigenmittel, ein Unternehmen hat und wir haben das Zweieinhalbfache im Schnitt oder sogar noch mehr an dem Mindesterfordernis. Also das sagt einfach, wie resilient ein Unternehmen oder eine Versicherungsgruppe aufgestellt ist. Je höher die Quote ist, desto mehr Schocks hält man aus und desto stabiler kann man auch Dividenden zahlen.
THOMAS NISS: Wir kommen danach noch zu dem ganzen Thema fachlichen Anforderungen. Aber an der Stelle interessiert mich eine Frage: Das ist natürlich alles global und teilweise sozusagen supernational reguliert
LIANE HIRNER: Europäisch
THOMAS NISS: In dem Fall supranational europäisch. Sie sind Fachfrau, nämlich wirklich ganz tief drinnen, aus ihrer Sicht ist die Regulatorik da eigentlich auf dem Punkt? Macht das Sinn so wie man das rechnet im Groben und Ganzen?
LIANE HIRNER: Solvency II ist eingeführt worden 2016. Das war auch für die Versicherungswirtschaft eigentlich relativ disruptiv und am Anfang hat man natürlich auch sich ein bisschen davor gefürchtet. Jetzt muss ich sagen, haben wir die Covidkrise hinter uns und oder ich muss fast sagen, Mehrfachkrisen, Ukrainekrieg und alle möglichen geopolitischen Verwerfungen. Wir haben jetzt auch schon fast 10 Jahre dieses System und ich muss sagen, das hat sich bewährt. Es ist ein gutes System. Natürlich könnte man Dinge immer wieder verändern. Aber in Summe gesehen ist es ein gutes System und stellt sicher, dass die europäische Versicherungswirtschaft einfach mit ausreichend Eigenkapital ausgestattet ist. Wir sehen das insofern auch, wenn man Drittstaaten hat und wir haben auch ein paar in der Gruppe und die jetzt auch überlegen, Solvency II einzuführen, die noch andere, nicht risikobasierte Systeme haben, dass das Eigenmittelerfordernis unter Solvency II doch um einiges größer ist und damit ist einfach eine gewisse Resilienz und Stabilität sichergestellt.
THOMAS NISS: Wäre das auch die Einschätzung, wenn man das große Thema heutzutage „Draghi heute gerade Bericht: Europa alles schwierig, braucht ganz viel Geld, um wieder aufzuholen“. Haben da großamerikanische Versicherer ähnliche Systeme oder sind die da bevorteilt, weil die vielleicht mehr Risiko nehmen können, weil sie weniger unterlegen müssen?
LIANE HIRNER: Ich muss ehrlich gestehen, dass ich die Systeme jetzt in Amerika gar nicht so genau kenne. Also sowas wie Solvency II gibt's eigentlich nur in der EU. Also für mich ist es schon eine gute Regel, die einfach die Stabilität sicherstellt.
THOMAS NISS: Sie haben offensichtlich ja in Ihrer gesamten Karriere ein unglaublich gutes Gefühl für Zahlen an sich entwickelt, aber irgendwann entwickelt sich so der Blick für ein paar Themen, wo man besonders gerne hinschaut. Das sind sicher bei Ihren Kollegen, die vertriebsorientierter sind, vielleicht andere Maßstäbe als bei Ihnen. Aber was sind so die ersten Dinge, auf die Sie schauen, wenn Sie sozusagen die Bilanz oder die Kennzahlen der Vienna Insurance Group anschauen.
LIANE HIRNER: Also ich habe sicher einen anderen Blick auf die auf die Zahlen. Ich habe einfach 25 Jahre nichts anderes gemacht als Bilanzen anzuschauen. Also ich schaue wirklich hin und sehe viele Dinge. Ich würde sagen, dass meine Vorstandskollegen sehr stark auf die Gewinn- und Verlustrechnung schauen. Ich habe auch einen sehr starken Blick auf die Bilanz. Das ist Wirtschaftsprüferhintergrund. Ja und das ist wichtig die Kombination auf beides und was auch ist, dadurch dass ich jetzt Steuerberatung und diese ganzen Ausbildungen habe, auch andere Dinge sehe. Also ich habe dann Steuern im Kopf, ich habe Aufsichtsrecht im Kopf und wenn wir Entscheidungen treffen, dann muss ich auch immer alles abwägen. Ich muss mir immer überlegen, was heißt das in der Steuerbilanz, was heißt es für mich im Aufsichtsrecht, was heißt es im IFRS, was heißt es im UGB, weil die Holding ist trotzdem die dividendenzahlende Gesellschaft. Also muss ja sicherstellen, dass Dividenden gezahlt werden können. Was bedeutet es jetzt neu auf die Nachhaltigkeit? Also es ist einfach dieses Verbinden dieser ganzen Metriken. Da habe, glaube ich, einen einzigartigen Blick drauf.
THOMAS NISS: Jetzt hat man immer wieder die auf der Marktseite diese Combined Ratio Themen, so eine Kombination auf dessen, was man schaut. Gibt es irgendwie sozusagen, ist es vielleicht irgendein Solvency Measure, wo Sie sagen: „Das ist bei mir die Zahl, die ganz oben steht?“
LIANE HIRNER: Ich habe eigentlich keine Zahl, die ganz oben steht, sondern es ist die Summe aus allem. Für mich muss das alles irgendwie rund sein und für mich sehr stark nicht die Zahl an sich, sondern die Entwicklung. Also ich schaue sehr stark auf Zeitreihen und nicht auf einzelne Zahlen für sich allein. Das macht wenig Sinn.
THOMAS NISS: Sehr spannend. Ist aber natürlich auch so ein Thema wie man immer sagt am Anfang schauen die Dinge einfach aus, wenn man sich dann wirklich damit beschäftigt, wird alles sehr kompliziert und erst wenn man sich wirklich auskennt, wird es wieder einfach.
Fachliche Anforderungen, Karriere und Karriereplanung
THOMAS NISS: Was mich zum eigentlich nächsten großen Themenblock bringt. Sie haben eben 25 Jahre Karriere gemacht bei PwC in der Wirtschaftsprüfung, sind Steuerberaterin, Wirtschaftsprüferin. Das heißt, Sie sind den ganzen Weg durchlaufen nach ihrem Studium in Graz. Jetzt ist bei mir vor kurzen über Bloomberg ein Piece hereingekommen, wo es eben heißt, gerade in den USA großer Mangelberuf, schwierige Sicht der Generation Z auf das Thema. Wie verhält sich das momentan bei Ihnen? Man hört natürlich auch immer wieder aus den Freundeskreisen heraus – bei den Big4 – es ist herausfordernd neue Menschen dafür begeistern zu können, für diese Art Arbeit. Wie hat sich das bei Ihnen dargestellt? Wie hat sich auch Ihre Arbeitsweise und die Dinge, die Sie tun, entwickelt über die vielen Jahre bei PwC? Und schlussendlich dann sozusagen dieser Wechsel hinein auf die andere Seite des Tisches, wie man immer so schön sagt, wo Sie heute sind. Da interessiert mich vor allem auch die eine Frage: Kann man sich diesen Job überhaupt vorstellen, ohne vorher den anderen Weg gegangen zu sein? In Anbetracht der extremen, regulatorischen und technischen Anforderung, die er stellt?
LIANE HIRNER: Ich muss sagen, das Thema Bilanzen hat mich immer schon interessiert. Ich habe auch maturiert in dem Bereich und war dann klar, dass ich BWL studiere, weil es mich von der Richtung her interessiert hat. Bin dann eher zufällig in die Wirtschaftsprüfung gekommen. Was mich dort sehr gereizt hat war einfach, dass man sehr viele Unternehmen gesehen hat. Ich habe eigentlich fast alle Branchen, die man sich so vorstellen kann, auch selber besucht und betreut und einen Einblick bekommen. Es ist halt Knochenarbeit. Also das muss ich wirklich sagen. Das Soll und Haben und wie das alles funktioniert und es sind die Anforderungen über die Jahre extrem gestiegen. Weil vor 30 Jahren, da gab es halt eine Bilanz und wenn sich das Gesetz alle zwei Jahre geändert hat, war das schon ein Riesen-Bahö. Heutzutage haben wir, wie erzählt, vier, fünf Metriken parallel. Gesetze ändern sich permanent. Teilweise müssen wir auch Dinge umsetzen, wo der Gesetzgeber einfach auch in Verzug ist, weil alles bei uns eine große IT-Investition auch ist. Wir haben ja Massendaten. Ich kann nicht alles händisch machen. Also das sind extreme Herausforderungen. Es hat sich über die Zeit eben so entwickelt. Und ich habe eigentlich am Anfang gar nicht so das Interesse für die Versicherungswirtschaft gehabt, sag ich ganz ehrlich. Wollte ich eigentlich nie. Hab dann aber irgendwann nach fünf, sechs Jahren PwC dann die erste Versicherung von innen gesehen und habe festgestellt, dass das sehr spannend ist. Und habe mich da einfach weiterentwickelt, auch die ganze Regulatorik und habe auch Kommentare geschrieben, Fachartikel, viel Vorträge gehalten – also wirklich sehr tief drinnen in den Themen. War auch in Europa bei der Vereinigung der europäischen Wirtschaftsprüfer – sehr lange war ich dort tätig. Also ich habe auch die europäische Ebene immer mit – das ist auch ganz spannend, dass man versteht, woher kommen die Dinge.
Aber es ist wirklich Knochenarbeit und jetzt muss ich sagen, auf der anderen Seite sitzend: Ich fühle mich einfach sehr wohl, dass ich auf einem ganz stabilen Fundament stehen kann. Auch sehr viele Dinge selber einschätzen kann. Und auch Dinge weiß, die man mir nicht sagt. Weil auch ein Vorstand weiß ja nicht alles und ist darauf angewiesen, dass man halt auch die Informationen bekommt. Und es macht sehr viel Spaß, wenn man einfach auch selber sehr viel Wissen angehäuft hat.
THOMAS NISS: Gut, Sie haben es ja vorher schon gesagt, das ist diese Mustererkennungskompetenz, die sich halt erst über viele Jahre quasi ergibt, die dann eben das den Blick nicht auf einen einzelnen Teil, sondern auf die Zusammenhänge, die dann sehr schnell, wo man so ein Gefühl bekommt, das man wahrscheinlich erst gar nicht so beschreibt: „Nein, da passt was nicht“. Und dann weiß man aber auch gleich, wo man nachschauen muss. Aber die Tätigkeit, diese Knochenarbeit, die ja auch sehr befriedigend sein kann, weil sie zumindest einer klaren Regulatorik folgt, die ist schon ein bisschen aufgebrochen worden durch diese vielen Teilbereiche, die wir jetzt haben. Und Sie haben es vorher kurz erwähnt, IFRS, UGB. Warum braucht es denn das eigentlich alles?
LIANE HIRNER: Tja, das ist eine gute Frage. Es gibt auch Länder, wie – weiß nicht – Kanada z.B. die ganz konsequent bei einer Metrik bleiben. In der EU ist man halt sehr stark geneigt, immer unterschiedliche Dinge zu entwickeln. Auch die Gesetzgebung selber ist eigentlich sehr stark in Silos verhaftet. Also, (es wird) jeder Regulator macht seine eigene Regulatorik. Dann am Ende gibt es immer irgendeinen Bericht, den wir machen müssen. Die Berichte (sind) strotzen vor Doppelgleisigkeiten und Wiederholungen, weil jeder Bericht muss wieder für sich stehen. Also, wir haben mittlerweile am Jahresende – ich messe es immer ab mit dem Lineal – 12 cm Buchrücken nur Berichte, wo auch sehr viel auch doppelt und dreifach drin ist. Also könnte man wahnsinnig viel an Effizienzen erheben. Das müsste eigentlich schon der Gesetzgeber machen.
Also, man hat einfach irgendwann aufgehört in der Entstehung der Regulatorik alles miteinander auch in Beziehung zu setzen. Und das macht es schwierig für uns als Unternehmen, weil wir können das nicht. Wir müssen die Dinge verbinden. Und damit ist man auf weiten Strecken mittlerweile auch alleingelassen. Aber es muss doch dann am Ende alles aus einem Guss sein. Und das ist das, was mir wirklich total viel Spaß macht und wo mir das Wissen einfach auch hilft, das ich mir angesammelt habe: Dass ich einfach diese Dinge alle noch verbinden kann, weil auch Entscheidungen sehr zukunftsgerichtet sind. Ich schau sehr stark in die Zukunft: Wie gehen wir in Zukunft mit allen diesen Dingen um? Wie können wir uns effizient aufstellen? Und das ist eigentlich momentan das, was mich hauptsächlich beschäftigt. Wie kann ich sicherstellen, dass alles miteinander verbunden bleibt. Dass wir Systeme mehrfach verwenden können. Dass wir alles, was geht, automatisieren. Dazu braucht es ein gewisses Wissen.
THOMAS NISS: Sie haben von Massendatenverarbeitung natürlich gesprochen. Jetzt kommt auf uns alle die Umsetzung der DORA, also des Digital Operational Resilience Acts zu. Ich gehe davon aus, der ist auch bei Ihnen gelandet im Haus?
LIANE HIRNER: Der ist bei meinem Kollegen gelandet, beim IT-Vorstand. Aber natürlich geht alles bei mir vorbei. Vor allem, wenn es um die Kosten geht.
THOMAS NISS: Aber da geht es jetzt, auch für unsere Zuhörer, die das nicht kennen. Also, vor allem alle Finanzinstitute inklusive Versicherungen, inklusive Wertpapierfirmen, so wie wir, müssen in Zukunft sehr viel, erstens einmal Reportingarbeit erledigen, zum Thema Ihrer digitalen operativen Resilienz. Aber auch ganz gezielt wurden wir verpflichtet, dazu unterschiedlichste Tests durchzuführen. Penetration Tests rund um unsere IT-Systeme. Das heißt ein Thema, das wo Sie sagen, da sind wir jetzt schon durch, also jetzt ist es ja bald so weit oder…?
LIANE HIRNER: Wir sind mittendrin, würde ich sagen. Wir sind aber gut unterwegs würde ich sagen. Also wir haben das so gelöst in unserer Gruppe, dass wir drei Cyber Defense Center aufbauen oder aufgebaut haben in drei verschiedenen Ländern. Und jedes Cyber Defense Center sozusagen hat eigene Kompetenzen. Wir arbeiten sehr viel miteinander. Wir legen sehr viel Wert drauf, dass auch unsere Gruppengesellschaften untereinander zusammenarbeiten. Und wir sind jetzt nicht die Holding, wo die großen Budgets alleine sind und alles vorschreiben, sondern es ist ein ganz großes Miteinander. Also das ist ganz wichtig für uns, dass wir die Schwarmintelligenz der gesamten Gruppe auch maximal nützen.
THOMAS NISS: Ich muss auch sagen, ich habe gerade vorher auch Ihr Auto gesehen. Sehr dezent, also da sieht man, dass die Vienna Insurance Group sozusagen nicht unbedingt quasi auch nach außen wirken will, sondern vor allem nach innen wirkt, was am Ende des Tages immer, für den Aktionär vor allem, sehr gut ist.
Aber zu dem Thema Cyber Resilience: drei Zentren. Kam das mit Dora, dass man gesagt hat, jetzt müssen wir?
LIANE HIRNER: Genau das kam mit Dora. Wir sehen das aber positiv. Das sind Dinge, die wir sowieso machen müssen, auch wollen. Wir haben natürlich sensible Daten auch von Kunden und die müssen wir optimal schützen. Also das sind Regulatorien, die jetzt – wie soll ich sagen – auch das Bedürfnis decken, dass wir das auch natürlich selber als Notwendigkeit sehen. Also das unterstützt dann auch. Es ist nicht jede Regulatorik jetzt per se schlecht.
THOMAS NISS: Ja natürlich. Also, aber ich finde es interessant. Ich fand das ehrlich gesagt gerade auch eher gerade einen positiven Faktor zu sagen, quasi da kam eine Regulatorik. Wir haben gesehen, das macht aber auch Sinn. Aber war auch der Impetus tatsächlich dann etwas zu tun, was ja schon massiv ist. Nicht? Also, drei so Zentren aufzubauen ist ja ein gewaltiges Investment, das wahrscheinlich da hineinfließt.
LIANE HIRNER: Ein gewaltiges Investment, genau. Das, was wir selber nicht so gemacht hätten von uns aus, sind die vielen Reportingverpflichtungen, die Sie schon erwähnt haben. Also wir reporten mittlerweile also uns halb zu Tode.
THOMAS NISS: Ja, es geht mir natürlich auch so in unserem viel kleineren Umfeld. Inhaltlich ist das alles richtig und notwendig, aber die sozusagen damit einhergehenden Reporting-Themen machen einem natürlich sehr viel Arbeit, die jetzt nicht unmittelbar….
LIANE HIRNER: …einfach automatisieren. Wir haben einen sehr starken Fokus auf Digitalisierung, Automatisierung von allen unseren Geschäftsprozessen. Und man kann sich viel auch über Regulatorik sich aufregen, aber es hat auch was Gutes, finde ich, weil es ist jedes Mal, auch mit dem neuen Rechnungslegungsstandard, wo wir jetzt 100 Millionen Euro ausgegeben haben, nur damit wir eine Bilanz machen können, bringt schon einen Innovationsschub auch immer mit. Weil man muss natürlich professionalisieren und ich muss wirklich sagen, es hat auch was Positives.
THOMAS NISS: Jetzt ist gerade dann, wenn es um Daten geht, natürlich heutzutage in aller Munde: „Künstliche Intelligenz“, die sich ja zumindest in meiner – wie soll sagen, banalen Formulierung – vor allem von einem klassischen Algorithmus dadurch abhebt, dass ich da nicht mehr genau nachvollziehen kann, wie diese künstliche Intelligenz zum Ergebnis kam. Versus der Algorithmus, wo ich noch ganz genau weiß, das habe ich hineingegeben, das kommt heraus. Das ist ein Spannungsverhältnis zu dem Thema Reporting. Wenn ich Tools verwende, von denen ich nicht mehr verstehe, warum sie eigentlich zu einem Ergebnis kommen, aus den Daten, die ich Ihnen angeboten habe.
LIANE HIRNER: Sollte eigentlich nicht so sein. Man sollte immer verstehen, woher was kommt. Ich muss sagen, was die Digitalisierung betrifft, da passiert bei uns sehr viel in den Gesellschaften. Das ist auch nicht etwas, was von der Holding so zentral gesteuert wird. Das, was wir machen ist: Wir haben zwei- bis dreimal im Jahr so einen Contest, wo die Gesellschaften ihre Projekte einreichen zum Thema Digitalisierung. Da geht sehr viel auch um Kunden, um Schadenabwicklungen und solche Dinge. Sehr stark auch mit künstlicher Intelligenz behaftet. Und das muss man sich vorstellen, wie die „Höhle der Löwen“. Also da kommen die Unternehmen zu uns in den Holding-Vorstand und wir bewerten diese Projekte. Und je nach Kategorie sozusagen bekommen die Gesellschaften ein Funding von uns. Und das Ziel ist, auch Dinge transparent zu machen in der Gruppe. Also, was tut sich. Es tut sich interessanterweise in Osteuropa wesentlich mehr. Das kommt, glaube ich, hauptsächlich daher, dass diese Länder nicht diese Strukturen haben, die wir schon seit 200 Jahren vielleicht teilweise haben. Sondern die sind einfach flexibler und es gibt Länder, Polen ist sehr aktiv auf dem Gebiet. Wenn man dort mit dem Handy nicht zahlen kann oder mit dem Handy nicht seinen Schaden abwickeln kann, dann braucht man dort gar nicht hingehen. Also die Gesellschaften sind teilweise, zumindest die Bevölkerung, viel offener diesen Dingen gegenüber als bei uns. Also wir können da sehr viel ausprobieren und machen das auch mit großer Begeisterung und haben unserer „Höhle der Löwen“ sozusagen Geschichte. Es wird auch sehr transparent in der Gruppe, was gemacht wird. Es macht auch keinen Sinn, wenn eine Gesellschaft etwa eine tolle Innovation hat und die anderen wissen es nicht. Also es geht auch darum, das Wissen zu verbreiten und zu schauen, können wir etwas ausrollen in mehrere andere Länder, vielleicht sogar in die ganze Gruppe.
THOMAS NISS: Jetzt, quasi, man merkt bei Ihrer Begeisterung, wie Sie über dieses Thema sprechen schon einen der zentralen Unterschiede wahrscheinlich die es gibt zwischen ihrer Rolle heute und der Rolle als Partnerin bei PwC. Heute können Sie richtig tun.
LIANE HIRNER: Mittendrin ja.
THOMAS NISS: Ja, aber wenn man das kurz zusammenfassen mag, was sind da die ganz großen Unterschiede, die sich da zeigen?
LIANE HIRNER: Ja also, ich war hauptsächlich Wirtschaftsprüferin, auch Beraterin. Ich bin auch geprüfte Unternehmensberaterin und da kommt man halt immer im Nachhinein und beurteilt dann, ob etwas gut oder schlecht gelaufen ist. Jetzt bin ich halt einfach mittendrin. Das also, man kann viel mehr gestalten, macht mir wahnsinnig viel Spaß. Bei PwC muss ich sagen, war ich 50% fachlich Wirtschaftsprüferin. Sehr viel auch mit Akquise beschäftigt.
THOMAS NISS: Ja, weiß ich.
LIANE HIRNER: Ja das ist natürlich also Akquisition und die zweite Hälfte hatte ich dort auch schon viele Managementaufgaben. Also ich war dort auch schon für Risikomanagement zuständig und die Rechtsabteilung und Compliance und so und Ethics. Ich war Ethics ein Business Contact Leader auch dort. Also ich habe sehr viele interne Rollen auch gehabt. Wie gesagt, dann kam der Wechsel und meine erste große Aufgabe war diese riesige Bilanzumstellung. Also IFRS17 ist so ein Stichwort. IFRS9 ein Projekt, das uns 5 Jahre jetzt beschäftigt hat, wo die ganze Bilanz am Kopf gestellt wurde und einfach mittendrin zu sein, gestalten zu können, zu entscheiden. Auch strategisch: „In welche Richtung gehen wir?“ Das macht einfach wahnsinnig viel Spaß.
THOMAS NISS: Aber ich habe schon so verstanden, es gibt eigentlich so eine, wenn man so will auch in der Entwicklung, jetzt im Rahmen der Wirtschaftsprüfung schon auch eine Entwicklung hin in diese managerial Rollen, weil man ja auch dort - schlussendlich natürlich wird man irgendwann muss jeder verkaufen. In der Beratung insbesondere, aber auch intern managen. Das heißt sozusagen und diejenigen, die das nicht machen, die würden den Sprung wahrscheinlich dann auch nach draußen nicht machen.
LIANE HIRNER: Also ich, ich glaube, es gibt kaum Partner in einer internationalen Wirtschaftsprüfungskanzlei, die nicht selber auch Managementaufgaben übernehmen, weil das ist ja eigentlich auch wie ein Vorstand in einem Unternehmen, das ja auch gemanagt werden muss. Also das waren damals fast tausend Mitarbeiter auch, also da muss es die gleichen Verantwortlichkeiten geben - managementmäßig, wie halt auch in jedem anderen Unternehmen und das wird auch verteilt dort und ich hatte dort eigentlich sehr viele interne Aufgaben. Auch in diversen Leadershiprollen dann zum Schluss und hat mir natürlich auch geholfen.
THOMAS NISS: Also so stark verändert. Man verändert sich quasi intern auch in den wirtschaftsprüfungsgroßen Häusern schon sehr stark hinein in diese Managerrollen, die dann den Sprung nach draußen eigentlich wieder einfacher machen.
LIANE HIRNER: Genau.
THOMAS NISS: Wunderbar, also ich habe wahnsinnig viel gelernt, über das, was Sie heute in der Vienna Insurance Group machen.
Jetzt hätte ich noch eine große Bitte und das wird die Daria machen. Wie immer noch ein bisschen mehr auch über Sie zu erfahren, damit man quasi das Bild hier noch mal abrunden. Auch für unsere Zuhörer.
LIANE HIRNER: Gerne.
Liane Hirner persönlich
DARIA HEISIPH: Vorab habe ich noch zwei Fragen, auf die Sie sich jetzt gar nicht vorbereiten konnten, aber wir können zur Not ja alles rausschneiden. Möglicherweise eine ganz banale Frage, aber was ich mich jetzt gefragt habe und ich weiß auch gar nicht, ob man es gesellschaftsübergreifend beantworten kann. Aber wenn eine Versicherung sich mit Risiken beschäftigt und die Arbeit ist es ja, Kunden für diese Risiken abzusichern. Das heißt, man muss ja schon einen Schritt vorher wissen, was für Risiken können entstehen und gibt es eine Abteilung, die sich damit beschäftigt mit Zukunftsszenarien, mit Pandemien können jetzt häufiger auftreten aus diversen Gründen, Unwetter werden aufgrund von Klimawandel häufiger, am ehesten in der Region da erwartet ein am ersten dieses Szenario. Kann man das so genau in Szenarien fassen?
LIANE HIRNER: Ja also ich muss sagen, Risiken managen ist die Kernkompetenz einer jeden Versicherung ja und die Vienna Insurance Group hat das eindrucksvoll bewiesen mit einer 200jährigen Geschichte. Also wir feiern ja 200-jähriges Bestehen. Risiken managen oder diese Dinge finden eigentlich in vielen Abteilungen statt. Es gibt die Organisationseinheit Risikomanagement, wo das eben zusammenfließt. Aber es ist auch unsere Rückversicherung sind im Prinzip Risikomanager, auch die Kapitalveranleger sind Risikomanager und natürlich beschäftigt man sich mit Zukunftsszenarien. Also wir haben ein sehr langfristiges Geschäftsmodell und müssen uns auch mit zukünftigen Risiken sehr intensiv beschäftigen. Auch ich zum Beispiel, also so Themen wie, weiß nicht, künstliche Intelligenz oder Pandemien oder solche Themen.
THOMAS NISS: Und auch die vor allem die negativen Auswirkungen der Digitalisierung mit den Risiken, die aus Cyberkriminalität herauskommen und all diese Dinge.
LIANE HIRNER: Alle diese Dinge. Aber das ist jetzt nicht nur im Risikomanagement ist die Organisationseinheit, wo das alles zusammenfließt. Wir machen ein Own Risk % Solvency Assessment. Also jedes Jahr machen wir eine eigene Solvenz- und Risikobeurteilung und da geht es ganz stark um Zukunftsszenarien. Eben, wo gibt es Naturkatastrophen? Was ist mit der künstlichen Intelligenz? Wie betrifft uns das? Welche Risiken haben wir dort? Und was die Kunden betrifft, versuchen wir sehr stark in die Richtung Risk Awareness zu gehen. Also Risk Literacy nennen wir das. Nicht Financial Literacy, bewusst Risk Literacy. Einfach das Risikobewusstsein auch der Menschen zu fördern. Man darf sich das in Osteuropa in vielen Ländern nicht so vorstellen, wie bei uns, wo jeder sein Haus versichert. Das ist in vielen Ländern nicht der Fall. Ja oder dass man auch eine Krankenversicherung hat, ist auch nicht der Fall und da helfen auch so Dinge wie eine Pandemie oder so schlimm es ist ein Kriegsausbruch, dass den Leuten einfach bewusst wird, ich habe ein Vermögen, ich habe eine Gesundheit. Wie kann ich das auch absichern? Also es geht um uns und es geht sehr stark um die Kunden.
DARIA HEISIPH: Und eine Übergangsfrage schon zur persönlichen Note. Wenn jetzt ihr Job, ihre Tätigkeit tagtäglich Risiken zu bewerten ist und durchzurechnen, kalkulieren. Es klingt sehr rational. Jetzt frage ich mich im privaten Umfeld. Rechnen Sie da auch irgendwelche möglichen Kosten, Szenarien durch oder gehen sie da mehr auf Emotion. Angenommen eine Reiseversicherung jetzt für eine größere Reise. Wie gehen Sie das an?
LIANE HIRNER: Ja das ist ganz einfach. Mein Ehemann ist im Versicherungsvertrieb tätig. Also der kümmert sich um alle Versicherungen und wir haben sicher alles, was existenzbedrohend ist. Also das würde ich einfach auch jeden empfehlen, weil das ist einfach die Grundlage einer Versicherung und wir haben immer in jedem Urlaub auch eine Reiseversicherung.
DARIA HEISIPH: Sehr gut. – Gut - Dann folgen als nächstes eine Handvoll Halbsätze, die Sie vervollständigen dürfen. Wir starten direkt mit zufrieden bin ich,
LIANE HIRNER: …wenn ich mit meinem Team einen nachhaltigen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten kann.
DARIA HEISIPH: Wenn ich nicht arbeite,
LIANE HIRNER: … dann bin ich sehr normal, stehe hinterm Herd in der Küche, grabe in meinem Garten irgendwelche Pflanzen um oder gehe mit dem Hund spazieren. Also ganz ganz entspannt und normal.
DARIA HEISIPH: Sehr Risikoarm.
LIANE HIRNER: Genau.
DARIA HEISIPH: An meinem Job mag ich am meisten?
LIANE HIRNER: Ja, dass ich einfach mit meinem Team gestalten kann. Das ich mein Wissen, das ich über sehr lange Zeit erworben habe, optimal einsetzen kann.
DARIA HEISIPH: Verzichten könnte ich auf
LIANE HIRNER: … ja hin und wieder gibt es Unachtsamkeit, Respektlosigkeit. Auf diese Dinge kann ich sehr gut verzichten
DARIA HEISIPH: Und Regulatorien vielleicht hier und da.
LIANE HIRNER: Hie und da.
DARIA HEISIPH: Dieses Buch sollte man lesen,
LIANE HIRNER: … ja also es gibt ein Buch vom Jonas Sulz Kober, das ist ein junger Student, ich glaube Philosophiestudent: Grundlagen oder Einführung in den Stoizismus. Also das kann ich jeden empfehlen. Einfach sich ein paar Dinge zurechtzulegen, wie man einfach immer cool bleibt.
THOMAS NISS: Das klingt interessant.
DARIA HEISIPH: Mein Geld lege ich an?
LIANE HIRNER: Ja sehr konservativ. Und ich habe zwei Söhne mit 18 und 20, die brauchen fahrbare Untersätze, Computer, müssen irgendwo wohnen.
THOMAS NISS: Also in die Zukunft?
LIANE HIRNER: In die Zukunft wird es investiert. Genau, genau.
DARIA HEISIPH: Gut dann sind wir schon angekommen am Ende.
THOMAS NISS: Das eine haben wir noch. Nämlich die eine Sache, die Sie gerne gewusst hätten, früher schon. Sozusagen, dass Sie sich gewünscht hätten, dass sie Ihnen früher schon jemand gesagt hätte. Quasi eine kleine Lebensweisheit.
LIANE HIRNER: Oder den Rat den einen, oder? Die eine Lebensweisheit, die ich sehr stark, an der ich auch immer noch übe, ist die, dass man im Leben, egal ob es beruflich oder privat ist, nichts persönlich nehmen darf.
DARIA HEISIPH: Klingt auch leichter gesagt als getan.
LIANE HIRNER: Ist schwierig, aber man kann es üben
DARIA HEISIPH: Ja, auf jeden Fall.
THOMAS NISS: Wunderbar.
DARIA HEISIPH: Dann darf ich jetzt abrappen. Gibst du mir die Erlaubnis?
THOMAS NISS: Okay.
DARIA HEISIPH: An die Zuhörer: Vielen Dank, dass ihr drangeblieben seid. Ich freue mich euch beim nächsten Bizquiz auf die Probe zu stellen, ob ihr auf gut aufgepasst habt. Vor allem zur Solvenzquote haben wir schon die ein oder andere öftere Frage gestellt im Bizquiz. Ich bedanke mich bei Frau Hirner für ihr Kommen, für die Zeit und für das Beantworten jeglicher Fragen.
LIANE HIRNER: Gerne
DARIA HEISIPH: Hast du noch was?
THOMAS NISS: Nein. Auch mir hat es wirklich Spaß gemacht. Vielen herzlichen Dank. Ich kann mir das sehr sehr gut vorstellen, wie Sie hier tatsächlich wirklich wertschöpfen in diesem in diesem Vorstandskollegium mit Ihrer sehr gewinnenden Art. Mit Ihrer würde mal sagen sozusagen wenn man Ihnen gegenüber sitzt sofort erkennbaren tiefsten Kenntnis der Materie. Ich glaube, man kann sich da, wie Sie das vorher auch gesagt haben, auf Sie verlassen. Das würde ich mir auch immer wieder wünschen oder das wünscht man sich. Kann man sich nur wünschen. Herzlichen Dank, dass Sie da waren und ich bin mir ganz sicher, es hat auch wieder was dazu, zu unserer sozusagen tatsächlichen Geschichte. Es gibt Unternehmen. Unternehmen sind da, um Geld zu verdienen, zahlen Menschen, die dafür geeignet sind, dafür das auch sicherzustellen. Dementsprechend ist zwar mit auch der Anlagerrisiko verbunden, aber dieses Risiko häufig anders gelagert, als man es eigentlich glauben mag, weil gewisse Unternehmen kann man kaum wegdenken und dazu gehört sicher auch die Vienna Insurance Group im zentral- und osteuropäischen Raum und solange quasi, ich würde mal sagen, der Aufsichtsrat solche Vorstände bestellt, sind wir uns da eigentlich ziemlich sicher, dass das so weitergehen wird. Danke vielmals.
LIANE HIRNER: Vielen Dank. Danke sehr.
DARIA HEISIPH: Bis zum nächsten Mal.